Wenn Laura Valentini über Freiheit, Gerechtigkeit und normative Verpflichtungen nachdenkt, geht sie schon mal im Büro auf und ab. „Das hilft mir tatsächlich beim Denken“, findet die Professorin für Philosophie und politische Theorie an der LMU, „auch wenn es nicht in einem aristotelischen Wandelgang geschieht.“ „Zum Glück bin ich nicht in einem dieser modernen Büros mit Glaswänden. Sonst könnten meine Kolleginnen und Kollegen vielleicht denken, ich sei ein bisschen verrückt!“
Auszeichnung: Prinzessin Therese von Bayern-Preis 2025 vergeben
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Valentini, die natürlich meist im Sitzen an einem Bildschirm arbeitet, hat den Lehrstuhl für Philosophie und politische Theorie an der LMU inne und war bis vor Kurzem Gastprofessorin am King’s College London. Für ihre herausragende Forschung erhält sie nun einen Therese-von-Bayern-Preis der LMU.
Die Namensgeberin, Prinzessin Therese von Bayern, war selbst Wissenschaftlerin und erforschte auf ihren Reisen in Europa und Amerika anthropologische und zoologische Phänomene. Sie setzte sich für die Bildung von Frauen ein und erhielt 1897 als erste Frau die Ehrendoktorwürde der LMU. Der nach ihr benannte Preis richtet sich in diesem Jahr an Forscherinnen aus den Geistes- und Kulturwissenschaften.
Prof. Dr. Laura Valentini
ist Inhaberin des Lehrstuhls für Philosophie und Politische Theorie.
© LMU/Stephan Höck
Ich fühle mich geehrt, mit diesem Preis bedacht worden zu sein und hoffe, dass ich jungen Wissenschaftlerinnen als Vorbild dienen und sie ermutigen kann, einen ähnlichen akademischen Karriereweg einzuschlagen.
Laura Valentini, Lehrstuhl für Philosophie und Politische Theorie
„Ich fühle mich geehrt, mit diesem Preis bedacht worden zu sein“, so Valentini, „und hoffe, dass ich jungen Wissenschaftlerinnen als Vorbild dienen und sie ermutigen kann, einen ähnlichen akademischen Karriereweg einzuschlagen.“ Sie selbst habe, als Frau und Mutter in der Wissenschaft, „sehr positive Erfahrungen“ gemacht.
Von Freiheit und Moral
In ihrer prämierten Forschung beschäftigt sich Laura Valentini mit den großen Fragen des Lebens. Wann ist ein Mensch wirklich frei? Was macht ein Versprechen moralisch bindend? Und wie kann man politische Philosophie so betreiben, dass sie sowohl theoretisch fundiert als auch gesellschaftlich relevant ist? Dabei befasst sie sich mit zentralen Begriffen politischer Theorie und Moralphilosophie: mit Gerechtigkeit, Freiheit, Rechten und normativen Verpflichtungen.
Schon früh hatte sie begonnen, sich für Philosophie zu interessieren. In ihrer italienischen Heimat lernte sie am Liceo Classico, dem humanistischen Gymnasium, drei Jahre lang Philosophiegeschichte – und hatte einen Lehrer, der die Fragen des Lebens „spannend und präzise“ vermittelte. „Und ich war schon damals ein Bücherwurm“, so Valentini. „Mit 16 las ich Galileo Galileis Wälzer ‚Dialog über die zwei hauptsächlichsten Weltsysteme‘ – in den Weihnachtsferien.“
Dennoch entschied sie sich zunächst gegen ein reines Philosophiestudium. „Ich hatte dieses abschreckende Bild von mir als 60-Jährige im Kopf: ganz allein, ohne Familie und Freunde – in einer Kellerbibliothek mit einem Aristoteles-Manuskript“, erzählt sie und lacht. „Vielleicht, dachte ich daher, sollte ich doch etwas Praktischeres machen.“ So entschied sie sich für ein Studium der Politikwissenschaft an der Universität Pavia. „Dieses Fach ist in Italien stark interdisziplinär angelegt: Neben Seminaren in Jura, Wirtschaft, Soziologie und Anthropologie gab es auch solche zu politischer Philosophie.“ In einem davon fand sie zum Gegenstand ihrer ersten Faszination zurück.
Haben wir als Weltgesellschaft eine moralische Verpflichtung, Chancen und Ressourcen global gerechter zu verteilen – oder gelten solche Pflichten nur innerhalb politisch organisierter Nationalstaaten?
Laura Valentini, Lehrstuhl für Philosophie und Politische Theorie
Gerechtigkeitsfragen über Staatsgrenzen hinweg
Es folgten ein Master in Rechts- und politischer Theorie sowie eine Promotion in politischer Philosophie am University College London. In ihrer Dissertation und ihrem ersten Buch „Justice in a Globalized World“ untersuchte Valentini, unter welchen Bedingungen sich Gerechtigkeitsfragen sinnvoll über Staatsgrenzen hinweg stellen lassen. „Haben wir als Weltgesellschaft eine moralische Verpflichtung, Chancen und Ressourcen global gerechter zu verteilen – oder gelten solche Pflichten nur innerhalb politisch organisierter Nationalstaaten?“
Als Postdoktorandin in Princeton forschte sie vorübergehend zum Thema Gerechtigkeit gegenüber domestizierten Tieren. Und nach Stationen in Oxford, Harvard und an der London School of Economics befasste sie sich als Fellow an der Universität Frankfurt mit Themen wie öffentliche Identität und soziale Ermächtigung, bevor sie 2021 dem Ruf auf eine Professur an die LMU folgte.
Laura Valentini beschäftigt sich derzeit mit normativen Kompetenzen – Fähigkeiten wie Zustimmung, Versprechen und Autorität. Sie veranschaulicht das philosophischen Laien mit einer Analogie: „Wir alle kennen physische Fähigkeiten, zum Beispiel meine Fähigkeit, eine Flasche von der linken auf die rechte Seite meines Schreibtischs zu bewegen. Indem ich diese Fähigkeit ausübe, schaffe ich eine neue empirische Tatsache: Die Flasche steht nun rechts.“ Ebenso würden wir auch die Fähigkeit besitzen, neue normative Tatsachen zu schaffen – also Tatsachen, die sich nicht darauf beziehen, was ist, sondern darauf, was sein soll oder sein darf. Zum Beispiel: „Niemand hat die Erlaubnis, aus meiner Flasche zu trinken, solange ich nicht zustimme. Aber sobald ich zustimme, wird etwas, das zuvor verboten war, erlaubt. Oder wenn ich ein Versprechen abgebe, schaffe ich eine neue Verpflichtung für mich, dieses Versprechen zu erfüllen – eine Verpflichtung, die vorher nicht existierte.“
In ihrer aktuellen Arbeit erforscht Valentini das Wesen dieser wichtigen, aber etwas rätselhaften Fähigkeiten, in unsere normative Welt einzugreifen. Zum Beispiel: Besitzen wir diese normativen Kompetenzen von Natur aus oder hängen sie von sozialen Praktiken und Institutionen ab? Und behalten diese Kompetenzen ihre Wirksamkeit auch dann, wenn sie für moralisch falsche Zwecke eingesetzt werden?
Kann ein Sklave frei sein?
Auch das Thema Freiheit zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Arbeit. Freiheit, so betont Valentini, sei in der Philosophie nicht nur als Abwesenheit von äußerem Zwang zu verstehen, sondern auch als Unabhängigkeit von willkürlicher Kontrolle. „Man kann sich einen Sklaven mit einem sehr netten Herrn vorstellen“, sagt sie. „Auch wenn er ihn tun lässt, was er will – schon die bloße Möglichkeit, dass der Herr eingreifen könnte, macht den Sklaven unfrei.“ Entscheidend sei also nicht nur, ob jemand tatsächlich behindert werde – sondern ob eine andere Person die soziale Macht habe, einzugreifen.
Diese Perspektive entwickelt Valentini gemeinsam mit ihrem Kollegen und Ehemann, dem LMU-Philosophen Christian List, weiter. „Wir sind sozial unfrei, wann immer andere die Macht haben, in unser Leben einzugreifen – ganz gleich, ob sie diese Macht ausüben oder nicht und ob diese Macht moralisch gerechtfertigt ist oder nicht.“ Zum Beispiel „sollten wir anerkennen, dass die Tatsache, dass der Staat in unser Leben eingreifen darf, wenn wir das Gesetz brechen, uns in diesem Umfang unfrei macht, selbst wenn diese Unfreiheit unter dem Strich moralisch gerechtfertigt sein mag.“
Man braucht Ideale, um Orientierung zu haben. Aber man braucht auch Analysen, die in der realen Welt ansetzen und ihr nützen können.
Laura Valentini, Lehrstuhl für Philosophie und Politische Theorie
Philosophie am Spielplatz
Neben Begriffen wie Freiheit oder Gerechtigkeit widmet sich Valentini auch methodischen Fragen der politischen Theorie. Etwa: Wie lassen sich Gerechtigkeitstheorien entwickeln, die sowohl normativ anspruchsvoll als auch praktisch tragfähig sind? Wann sind idealisierte Modelle hilfreich – und wann sollte man konkrete, auch kleinere Ungleichheiten in den Mittelpunkt stellen, um sie tatsächlich zu lindern?
Ein Beispiel: Die Forderung nach globaler Steuertransparenz oder faireren Handelsabkommen lässt sich aus idealen Gerechtigkeitsmodellen herleiten – wird aber nur politisch wirksam, wenn sie zugleich die realen Machtverhältnisse und Umsetzungsbarrieren berücksichtigt. Auch hier plädiert Valentini für eine doppelte Perspektive: „Man braucht Ideale, um Orientierung zu haben. Aber man braucht auch Analysen, die in der realen Welt ansetzen und ihr nützen können.“ Theorie, so Valentini, müsse bewusst beides leisten: normativen Anspruch und praktische Relevanz.
Auch im Alltag mit ihren beiden kleinen Töchtern begegnet ihr die Philosophie auf ganz praktische Weise. „Im Kinderzimmer muss ich über das faire Verteilen von Spielsachen verhandeln“, erzählt die Forscherin. „Und unsere Dreijährige ist in der Warum-Phase: ‚Warum gehst du zur Arbeit?‘ – ‚Warum?‘ – ‚Warum?‘ – ‚Warum?‘“ Eine geradezu endlose Kette von Rückfragen, die jede Antwort erneut auf den Prüfstand stelle. „Aber gerade dieses beharrliche Nachfragen der Kinder, diese Suche nach immer existenzielleren Zusammenhängen, ist im Grunde zutiefst philosophisch.“